Stellungnahme Krisendienste

(Stand 07/2016)

Krise

Eine seelische Krise ist die Zuspitzung einer Situation, die zum Versagen der Bewältigungsstrategien der betroffenen Person führt. Auch die Ressourcen des bestehenden Umfelds reichen nicht aus, um die Krise zu überwinden. Eine Krise birgt immer auch die Chance zur Weiterentwicklung.

Krisendienst

Ein Krisendienst versteht sich als Einrichtung, die mit akuten seelischen Problemsituationen umgeht. Die Zuständigkeit sollte zeitlich begrenzt sein, da aber eine seelische Krise nicht grundsätzlich in ihrer Dauer überschaubar ist, muss in Ausnahmefällen auch eine längerfristige Begleitung möglich sein.

Personenkreis

Jede Person hat das Recht die Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Fachkraft, die den Erstkontakt bearbeitet, hat die anspruchsvolle Aufgabe, die notwendige Form der Hilfe zu klären. Es ist wichtig, dass die Inanspruchnahme des Krisendienstes unabhängig von der Diagnose und anonym möglich ist.

Haltung bei der Hilfeleistung

Die Herangehensweise sollte biologische, persönliche und soziale Faktoren berücksichtigen und vom Recovery-Ansatz bestimmt sein. Psychopharmaka sollten zurückhaltend eingesetzt werden, um pharmakologische Einschränkungen und Schäden zu vermeiden. Oft erhöht dies auch die Bereitschaft der betroffenen Person, das Hilfeangebot in Anspruch zu nehmen.

Koordination der Hilfeleistung

Spezialisierte Psychiatrische Krisenhilfe wird an einzelnen Orten bereits praktiziert (z.B. in Berlin und München). Da Krisenhilfe auch zum Leistungsangebot der Regelversorger wie z.B. SpDi, PIA oder psychiatrische Kliniken gehört, könnte man davon ausgehen, dass eine ausreichende Versorgung bereits gewährleistet ist. Die einzelnen regionalen Angebote sind aber meistens nicht koordiniert und aufeinander abgestimmt. In Krisen außerhalb der üblichen Geschäftszeiten bleibt tatsächlich häufig nur die Telefonseelsorge, der ärztliche Bereitschaftsdienst oder die Polizei. Oft folgt eine Einweisung in die Klinik, weil keine angemessene ambulante Krisenhilfe vorhanden ist. Gute Krisenhilfe reduziert die Anzahl der Klinikeinweisungen und der Zwangsmaßnahmen.

Es bedarf einer bundeseinheitlichen Regelung, damit Hilfen für Menschen in seelischen Krisen überall unter einheitlichen Qualitätsstandards, unabhängig vom Wohnort der Betroffenen und von der psychiatrischen Infrastruktur zur Verfügung stehen.

Forderungen Krisendienst
Organisatorisch

  1. Multiprofessioneller, psychosozialer Krisendienst mit ärztlichem Bereitschaftsdienst und mit Psychotherapeuten, unter Einbeziehung von bezahlten Peers und Angehörigen.
  2. Mobile Krisenteams. Hilfe wird auch aufsuchend angeboten.
  3. Anlaufstelle mit Krisentelefon für alle interessierten Parteien, wie Betroffene, Angehörige, Freunde, Nachbarn.
  4. 24-stündige Erreichbarkeit, auch an Wochenenden und Feiertagen. Tagsüber sollten auch Gespräche an neutralen Orten (keine Klinik) angeboten werden.
  5. Krisenwohnung – mit psychosozialer Begleitung, keine unbegleitete Hotelunterbringung.
  6. Versorgungsverpflichtung für Notfälle, aufnahmebefugte Klinikärzte.
  7. Keine Beschränkung auf bestimmte Krankenkassen.
  8. Ein guter Bekanntheitsgrad des Krisendienstes (Werbekampagnen, gute Nutzung digitaler Medien) und gute Vernetzung mit den Hilfestrukturen vor Ort.

Konkrete Umsetzung

  1. Screening: Liegt akute Selbst- oder Fremdgefährdung oder ein psychomotorischer Erregungszustand vor, die eine sofortige ärztliche Behandlung in einer Klinik erfordern.
  2. Vor einer Klinikeinweisung sollte ein aufsuchendes Gespräch stattgefunden haben.
  3. Vernetztes, trägerübergreifendes Arbeiten (ggf. im Gemeindepsychiatrischen Verbund), sofern der Patient dem zustimmt. Datenschutz muss gewährleistet sein.
  4. Kooperation mit anderen Krisen-Beteiligten wie Polizei, Rettungsdienste, Hausärzte.
  5. Nutzung und Einbeziehung bereits bestehender Krisendienste in der Region.
  6. Koordination von weiterführenden Hilfen muss geklärt werden.
  7. Psychiater im Hintergrunddienst ist hilfreich.

Einheitliche, bundesweite Krisentelefonnummer

Es ist anzustreben eine einheitliche, bundesweite Krisentelefonnummer einzurichten. Dazu braucht es eine große Datenbasis und gute Zusammenarbeit mit den Bundesländern. Es müssen Kommunikationswege gefunden werden, die es gewährleisten, dass das Angebot über die telefonische Beratung hinausgeht, das heisst Unterstützungsleistungen vor Ort angestossen werden können. Es ist sinnvoll hierzu ein Konzept zu erarbeiten, wie lokale Strukturen über die Landesebenen erfasst und geordnet auf Bundesebene zusammengeführt werden können.

Für die AG Krisendienste des Bundesnetzwerk Selbsthilfe seelische Gesundheit - NetzG
Rainer Schaff, Rainer Höflacher

 

Literatur:

Regionale psychiatrische Krisenversorgung - Fachkonzept (München), Krisendienst Psychiatrie München(Hg.) , Bavaria Strasse 11, 80336 München
Ambulante Hilfen bei psychischen Krisen, Aktion Psychisch Kranke (Hg.), Tagungsdokumentation 24./25. September 2013, Berlin