NetzG-Schwerpunktthema Bundesteilhabegesetz

 

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Seit 1.1.2017 ist das Bundesteilhabegesetz (BTHG) in Kraft und wird bis 2023 in Phasen umgesetzt werden. Nach seiner Gründung im November 2016 beschäftigt sich auch das Bundesnetzwerk Selbsthilfe seelische Gesundheit (NetzG) vermehrt mit diesem auch für Menschen mit seelischen Erkrankungen so wichtige Gesetz.

NetzG begrüßt es, dass mit dem Bundesteilhabegesetz ein großer Schritt hin zu einem modernen teilhabeorientierten Umgang mit behinderten Menschen gewagt wird und sich neue Chancen für diese Personen eröffnen. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass das erklärte Ziel des BTHG es ist, die enorme Ausgabendynamik in der Eingliederungshilfe der letzten Jahre in den Griff zu bekommen. Es wird sich zeigen, ob es durch Optimierungen gelingt die Qualität der Hilfe zu erhöhen und zugleich die Kosten zumindest konstant zu halten. Es ist für die Betroffenen Vorsicht geboten, dass sie nicht trotz einer Stärkung des Teilhabegedankens und der Selbstbestimmungsmöglichkeiten am Ende schlechter gestellt werden, als zuvor. Es geht um sehr viel Geld und jede Partei versucht ihre Interessen durchzusetzen. Entsprechend dem allgemeinen politischen Trend von mehr Bürgerbeteiligung erhöht sich die Verantwortung der Betroffenenvertreter sich Gehör zu verschaffen, was bei der Komplexität der Thematik nicht einfach ist.

Leider haben bisher die Interessenvertreter seelisch belasteter Menschen keinen sehr großen Einfluss auf die Debatte genommen. Mit diesem ersten eigenen öffentlichen Beitrag zum BTHG äußert sich NetzG zu folgenden Punkten:

  1. Gesamtplankonferenz auf Wunsch des Leistungsberechtigten durchführen
    Im neuen Gesamtplanverfahren des BTHG, das letztendlich die Gewährung der Leistungen der Eingliederungshilfe entscheidet, sind sogenannte Gesamtplankonferenzen vorgesehen, zu denen die Träger der Eingliederungshilfe und andere beteiligte Leistungsträger eingeladen werden, um über die Unterstützungsbedarfe zu beraten. Wenn der maßgebliche Sachverhalt schriftlich ermittelt werden kann oder der Aufwand für die Gesamtplankonferenz in keinem Verhältnis zum Umfang der beantragten Leistung steht, kann von der Gesamtplankonferenz abgesehen werden. NetzG fordert, dass eine Gesamtplankonferenz auf jeden Fall durchgeführt werden muss, wenn der Leistungsberechtigte diese wünscht. Nur so ist eine angemessene Beteiligung der leistungsberechtigten Person gewährleistet.
  2. Volle Pflegeleistung für alle Bewohner gemeinschaftlicher Wohnformen bereitstellen
    Das BTHG hebt die Trennung zwischen stationär, teilstationär und ambulant auf und spricht nun aber von gemeinschaftlichen Wohnformen, die in § 43 in Verbindung mit § 71 Abs. 4 SGB XI definiert werden. Lebt ein Mensch mit einer Behinderung in einer dieser gemeinschaftlichen Wohnformen hat er nur Anspruch auf eine pauschale Abgeltung der Pflegeversicherungsleistung, das heißt ihm steht nur ein pauschaler Betrag von 266 Euro monatlich zur Verfügung, um seinen Pflegebedarf zu decken. Hier hat sich auch mit dem BTHG nichts geändert. Wir halten es für nicht menschenrechtskonform, wenn der Zugang zu Pflegeleistungen vom Wohnort eines Menschen abhängig ist. Auch in Einrichtungen mit vollstationärem Charakter muss eine mit anderen Personen vergleichbare Pflege möglich sein.
  3. Schiedstelle für strittige Leistungsgewährungen im Gesamtplanverfahren einrichten
    Im Rahmen der Feststellung der gewährten Leistungen im Gesamtplanverfahren wird nicht immer Konsens erreicht. In diesen Fällen hat der Antragsteller die Möglichkeit den Rechtsweg zu beschreiten. Dies ist für den Antragssteller aber sehr hochschwellig. NetzG setzt sich dafür ein, dass für diese Fälle eine Schiedsstelle eingerichtet wird, die ein Votum bezüglich der möglichen Unterstützungsleistung abgibt.
  4. Teilnahme der Teilhabeberater an Gesamt- und Teilhabekonferenzen sicherstellen
    Mit der Ergänzenden Unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB) wurde im BTHG die Funktion des Teilhabeberaters geschaffen. NetzG fordert, dass diese Teilhabeberater auf Wunsch des Leistungsberechtigten zusätzlich zu einer von ihm gewählten Vertrauensperson an Gesamt- und/oder Teilhabekonferenzen teilnehmen können.
  5. Bei Modellprojekten zu Werkstattalternativen Psychiatrieerfahrene beteiligen
    Um Alternativen zu den Werkstätten für behinderte Menschen zu finden sind Modellprojekte geplant. Diese Modellprojekte müssen mit Beteiligung von Psychiatrieerfahrenen geplant und umgesetzt werden.
  6. Bei der Qualifizierung von Teilhabeberater Psychiatrieerfahrene berücksichtigen
    In den Kommunen sind Qualifizierungen der Teilhabeberater geplant. Bei diesen Fortbildungen sind psychiatrieerfahrene Menschen als Referenten und als Teilnehmer zu berücksichtigen.
  7. Bei BTHG-Evaluationen Psychiatrieerfahrene gesondert evaluieren
    Im Rahmen des BTHG sind zahlreiche Evaluationen geplant. Die Belange der psychiatrieerfahrenen Menschen sind dabei besonders zu berücksichtigen und gesondert zu evaluieren.

Diese Forderungen bringt NetzG in die laufende Debatte ein.