Grußwort anlässlich der Tagung der BAG GPV „ Das BTHG umsetzen“ in Stuttgart am 16.10.2017 

Rainer Höflacher

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Sehr geehrte Damen und Herren,

es ist mir eine Ehre für NetzG - das Bundesnetzwerk Selbsthilfe seelische Gesundheit - ein Grußwort sprechen zu dürfen. Wir haben uns am 9. November 2016 in Kassel gegründet und arbeiten eng mit der Aktion Psychisch Kranke zusammen, die in organisatorischen Angelegenheiten die Geschäftsführung für uns übernommen hat. In unserer noch jungen Vereinsgeschichte ist es etwas Besonderes für uns bei einer Tagung als Mitveranstalter aufzutreten.

Unser Ziel ist es Ansprechpartner zu vielen Themen zur seelischen Gesundheit zu sein, als kompetenter Interessenvertreter seelisch erschütterter Menschen. Im Trialog, oder genauer gesagt im Quadrolog, engagieren wir uns für bessere Lebensverhältnisse für psychisch belastete Menschen indem wir bei der Weiterentwicklung der psychiatrischen Hilfen aus Nutzersicht mitwirken.

Der Titel der heutigen Tagung heißt "Das Bundesteilhabegesetz umsetzen". NetzG begrüßt es, dass mit dem Bundesteilhabegesetz ein großer Schritt hin zu einem modernen teilhabeorientierten Umgang mit behinderten Menschen gewagt wird und sich neue Chancen für diese Personen eröffnen. Der Fokus wird nicht nur auf die Erkrankung gelegt, sondern darauf, inwieweit eine Einschränkung der Teilhabe vorliegt. Die Förderung von Selbstbestimmung und Personenzentrierung stehen im Mittelpunkt. Allerdings dürfen die versprochenen innovativen Konzepte nicht der Deckmantel für Einsparungen sein.

Es darf nicht vergessen werden, dass es das erklärte Ziel des BTHG ist, die enorme Ausgabendynamik in der Eingliederungshilfe der letzten Jahre in den Griff zu bekommen. Es wird sich zeigen, ob es durch individuelle, personenzentrierte und passgenaue Hilfen gelingt, deren Wirksamkeit und Nutzerfreundlichkeit zu erhöhen. Es ist für die Betroffenen Vorsicht geboten, dass sie nicht trotz Stärkung des Teilhabegedankens und der Selbstbestimmungsmöglichkeiten am Ende schlechter gestellt werden, als zuvor. Bei der Leistungsgewährung im Teilhabeplanverfahren und bei der Festlegung des leistungsberechtigten Personenkreises sehen wir hier zwei wichtige Stellschrauben von vielen.

Entsprechend dem allgemeinen politischen Trend hin zu mehr Bürgerbeteiligung erhöht sich die Verantwortung der Selbstvertretungen sich Gehör zu verschaffen, was bei der Komplexität der Thematik nicht einfach ist. Leider haben bisher die Interessenvertreter seelisch belasteter Menschen nur geringen Einfluss auf die Debatte zum BTHG genommen. Nur wenige Interessenvertreter im Bereich der seelischen Gesundheit wollen sich mit der komplexen und für sie oft trockenen Materie beschäftigen. Für die interessierten seelisch erschütterten Menschen muss es spezielle, geförderte Fortbildungsangebote geben, damit ein Diskurs auf gleicher Augenhöhe überhaupt erst möglich wird.

NetzG hat bereits erste Forderungen zum BTHG veröffentlicht. Dabei wenden wir uns entschieden gegen die nach wie vor pauschalierte Pflegeleistung für die Bewohner gemeinschaftlicher Wohnformen mit vollstationärem Charakter. Der individuelle Zugang zu den vollen Leistungen der Pflegeversicherung muss allen Menschen offen sein, unabhängig vom Wohnort. Wir setzen uns für die Einführung einer Schiedsstelle bei strittigen Leistungsgewährungen ein, möchten durchsetzen, dass die Gesamtplankonferenz generell auf Wunsch der Leistungsberechtigten durchgeführt wird und dass es keine finanziellen Verschlechterungen für die Bewohnern gemeinschaftlicher Wohnformen gibt. Bei den Modellprojekten zur Stärkung der Rehabilitation seelisch behinderter Menschen, bei der Qualifizierung von Teilhabeberatern und bei allen BTHG-Evaluationen fordern wir eine besondere Berücksichtigung von psychisch belasteten Menschen.

Zu unserer Freude wurde im Bundesteilhabegesetz die ergänzende unabhängige Teilhabeberatung eingeführt in deren Rahmen selbst von Behinderung betroffene Menschen Hilfesuchende beraten. Schon seit langem ist es uns ein großes Anliegen, dass diese Peerberatung zu einem selbstverständlichen, flächendeckenden Angebot wird. Das ist einer der großen Schritte nach vorne im BTHG. Wir hoffen sehr, dass die Hochschwelligkeit des Antrages nicht dazu führt, dass die Leistungserbringer die Teilhabeberatung in Federführung übernehmen, da die Selbsthilfe nicht die Kapazitäten dazu hat, die Beratungsstellen einzurichten. Im Gegensatz zu den körper- und sinnesbehinderten Menschen, tun wir seelisch erschütterten Menschen uns schwer die nötigen Strukturen bereitzustellen und Personen zu finden, die dem hohen Anspruch an die Qualifikation der Berater gerecht werden. Erfreulicher Weise sind durch die EX-IN-Bewegung viele hoch motivierte und kompetente krisenerfahrene Menschen ins System gekommen, von denen manche durchaus mit geeigneten Fortbildungen als Teilhabeberater arbeiten könnten. Man darf gespannt sein, welche Anträge letztendlich bewilligt werden.

Es ist schon eigenartig, dass ein Gesetz geschrieben wurde, bei dem zum heutigen Stand noch keiner genau sagen kann, was am Ende dabei als konkretes Ergebnis für den Nutzer herauskommen wird. Ich wusste nicht, dass es Gesetze gibt, die einen jahrelangen, schrittweisen, relativ offenen Umsetzungsprozess regeln. Ich bin juristischer Laie und nehme dies erstaunt und zugleich interessiert zur Kenntnis.

Wir hier in Baden-Württemberg sind gerade dabei in einem guten Beteiligungsprozess, wie schon beim Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz und dem Landespsychiatrieplan, die Vorgaben des Bundes umzusetzen. Die beiden Arbeitsgruppen Bedarfsermittlung und Landesrahmenvertrag sind jeweils mit 6 Vertretern der Leistungsträger, 6 Vertretern der Leistungserbringer und 6 Vertretern der Leistungsberechtigten besetzt. Leider ist noch offen, ob wir dabei auch mit abstimmen dürfen. Es wäre nicht im Sinne einer echten Mitwirkung, wenn wir nur beratend teilnähmen. Aber ich vermute Herr Minister Lucha wird dazu auch noch etwas sagen.

Es ist bedauerlich, dass der Landesverband Psychiatrie-Erfahrener Baden-Württemberg den noch freien Platz in der AG Bedarfsermittlung nicht besetzen konnte und somit nur in der AG Landesrahmenvertrag vertreten ist. Trotzdem werten wir das als Erfolg. Es gibt auch in Baden-Württemberg noch zu wenige Psychiatrieerfahrene, die sich zum BTHG auf Landes- und Bundesebene äußern wollen beziehungsweise können. Hier sind unser Landesverband und NetzG als Motivatoren gefragt.

Nun bedanke ich mich für ihre Aufmerksamkeit und dass wir für diese Tagung Mitveranstalter sein dürfen. Ich wünschen Ihnen einen Tag mit vielen schönen Begegnungen und weiterführenden Erkenntnissen, damit wir den nächsten Schritt tun, auf dem Weg hin zu einer gelungenen Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes, das dann auch wirklich einen spürbaren und nachweisbaren Fortschritt für die Menschen mit seelischen Belastungen bringt und nicht nur neue fachliche Ansätze, neue Verträge und neue formale Verfahrensregeln.